Christoph Bremer "Antrag auf Erhalt der Bunk-Orgel

Diese Initiative spricht mir aus der Seele...

der bekannte Komponist Thomas Meyer-Fiebig

Thomas Meyer-Fiebig zur Bunk-Orgel

Thomas Meyer-Fiebig
Komponist und Organist
Professor für Komposition
am Kunitachi College of Music Tokyo / JAPAN

Email meytyo@yahoo.de



Herrn
Orgelbaumeister Gerhard Walcker-Mayer

Sehr geehrter Herr Walcker-Mayer,

wie Sie dem Briefkopf entnehmen können, bin ich ein deutscher Musiker, der in Japan lebt. Nähere Informationen - falls erwünscht - bitte ich, bei Wikipedia.de unter "Thomas Meyer-Fiebig" nachzuschauen, da meine Hompepage noch im Aufbau ist.

Ich möchte vorausschicken, daß ich klanglich keineswegs einseitig auf eine bestimmte Richtung fixiert, sondern für jeden guten Orgelklang offen bin, gleich welcher Epoche und welchen Stils.

Auch ich habe bereits seit einigen Jahren die "Bunk-Orgel"-Affaire verfolgt, letzthin allerdings etwas aus den Augen verloren, weil ich bisher nicht für möglich gehalten hatte, daß man in St. Reinoldi tatsächlich etwas in Angriff nehmen würde, was sich meinem - und wie es aussieht: nicht nur meinem - Verstand entzieht.

Ob das Zufall ist oder nicht, sei dahingestellt (ich glaube eigentlich nicht an Zufälle): vor einigen Tagen stoße ich im Internet wieder auf die Angelegenheit und muß feststellen, daß die Beseitigungspläne offenbar doch ernst gemeint sind, was mich veranlaßt, mich nunmehr zu Wort zu melden.

Ich habe die Reinoldi-Orgel im Jahre 1982 für etwa 2 1/2 Stunden besichtigungsweise spielen können und damals auch mit einem Kassettenrecorder einige Klangproben aufgenommen (Bach, Ahrens, Stockmeier, Improvisation), insgesamt etwa 30 Minuten Musik, die eines der nach wie vor schönsten und unvergeßlichen Orgelerlebnisse meines Lebens dokumentieren.

Es kann doch nicht sein, daß - was selbst die an heutigen Maßstäben gemessene bescheidene Klangqualität meiner Aufnahme bestätigt - eine 1982 klangschöne Orgel im Laufe der folgenden 20 oder 25 Jahre zur Produzentin von Klangmüll verkommen sein soll, die den Anforderungen angemessener Interpretation nicht mehr geügt.

Und ein Künstler vom Format eines Gerard Bunk soll in seinen letzten Lebensjahren und vor dem Hintergrund seiner jahrzehntelangen Erfahrungen als Organist und Komponist eine Orgel konzipiert haben, auf der die Orgelmusik der verschiedenen Epochen nur unzulänglich wiedergegeben werden kann, SEINE EIGENE eingeschlossen?

Das ist doch absurd.

Ich kenne Herrn Kantor Müller nicht und kann daher seine Kompetenz nicht beurteilen.

Aber zu sagen, daß sein Vorgehen respekt-, pietät- und lieblos ist gegenüber dem Andenken von Gerard Bunk, der von diesem konzipierten Orgel, den Menschen, die sie gebaut haben sowie der Gemeinde, die es nach dem Kriege gewiß einige Anstrengungen gekostet hat, um im Rahmen des Wiederaufbaus der Kirche auch wieder in den Besitz einer würdigen Orgel zu kommen, fühle ich mich sehr wohl in der Lage.

Gerade der Punkt "Anstrengungen der Gemeinde" sollte Herrn Müller einmal nachdrücklich ins Bewußtsein gerufen werden: es ist klar, daß er als später Geborener von dieser Zeit nur als historisches Faktum wissen kann - aber das kann doch kein Freibrief dafür sein, mit lässiger Hand mal eben eine Orgel hinwegzufegen, für die eine frühere Generation Opfer gebracht hat.

Und: warum hat Herr Müller eigentlich diese - auch in meinem Besitz befindliche - CD herausgebracht? Etwa nur, um im Booklet Negatives über die Orgel zu schreiben und - auch - auf diese Weise für dessen Verbreitung zu sorgen?

Wenn diese CD aber die klanglichen Unzulänglichkeiten der Reinoldi-Orgel demonstrieren soll, ist sie ein Flop.

Neben meiner erwähnten Aufnahme habe ich jetzt auch die CD zusammen mit meiner Frau - selber eine erfahrene Kirchenmusikerin und Konzertorganistin - abgehört, und wir waren bzw. sind uns darüber einig, daß Herr Müller nicht weiß oder nicht wissen will, welch großartige Orgel er in St. Reinoldi spielt.

Soll dieser Bildersturm auf die "Neobarock"-Orgeln so lange fortgesetzt wird, bis sie entweder entstellend umgebaut oder beseitigt sind, gerade die qualitätvollen, unabhängig von ihrer Größe, wie es mit den Orgeln der Romantik so oft geschehen ist?

Später kam man dann dahinter, daß die Romantik doch nicht so schlecht gewesen sein konnte, restauriert seither - sofern möglich - noch existierende Orgeln mehr oder weniger kostenaufwendig auf einen sicheren oder vermuteten Originalzustand zurück bzw. baut neu im Stile oder als Nachempfindung der Romantik - - und baut entstellend um bzw. beseitigt gleichzeitig die Orgeln der Nachkriegsepoche.

Irgendwann aber - z.B. in 1-2 Generationen - könnte Unglaubliches geschehen: dann wird man nach "Neobarock"-Orgeln fragen, kaum noch welche finden, wenn gerade die Instrumente, die die entsprechenden Kriterien erfüllen, nicht unter Denkmalschutz gestellt worden sind, und so gut es eben geht (falls finanziell möglich), "rekonstruieren", um die zwischen etwa 1950 und 1980 komponierte Orgelmusik wieder AUTHENTISCH spielen und hören zu können.

Die Musik dieser Epoche könnte dann nämlich ebenso "in" sein wie in unserer Zeit die Musik der Romantik.

Es sollte endlich allgemeiner Konsens werden, was mir vor einigen Jahren ein Orgelsachverständiger sagte: "So lange ich im Amt bin, gibt es im Bereich meiner Landeskirche keine Organistenorgeln. Wenn einem Organisten bei der Stellenbewerbung die vorhandene Orgel nicht gefällt, fordere ich ihn auf, sich eine andere Stelle suchen. Und ´zeitgemäße´ Umbauten lasse ich auch nicht zu."

Wann endlich wird man dahin kommen, aus der Geschichte zu lernen und Orgeln in Ruhe ihren Dienst tun zu lassen und nicht - weil sie dem Geschmack eines im Extremfall EINZELNEN nicht passen - nach mehr oder weniger kurzer Zeit anfangen, sie umzubauen oder ganz zu beseitigen.

Wobei im zweiten Fall ein Verkauf oder die Schenkung an eine andere Kirche noch das kleinere Übel wäre, weil das Instrument dann wenigstens erhalten bliebe.

Was ich mir für die Reinoldi-Orgel NICHT wünsche: die gehört, so wie sie ist, als ein wesentlicher Bestandteil des Wiederaufbaus der Reinoldikirche nach dort und nur nach dort.

Sie gehört als würdiges Instrument zur Gestaltung der Gottesdienste und Kirchenmusiken in St. Reinoldi an die Stelle, wo sie seit 50 Jahren steht und klingt und nicht irgendwo anders hin: weder in andere Kirchen noch in Einlagerungskisten und schon gar nicht auf den Schrottplatz.

Ich wünsche dringend, daß Ihrem Antrag, die Orgel unter Denkmalschutz zu stellen, so schnell wie möglich stattgegeben wird, um die von Prof. Dr.
Stockmeier zu Recht als "Kulturschande ärgsten Ausmaßes" bezeichnete geplante Beseitigung dieser Orgel zu verhindern, die zu den bedeutendsten Neubauten aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zählt.

Mit besten Wünschen und freundlichen Grüßen, zu diesem Zeitpunkt auch für ein gesegnetes Weihnachtsfest und gutes Jahr 2009

Thomas Meyer-Fiebig